Gar manche Sache, die anfangs Spaß macht und ein Hochgefühl aufkeimen läßt, geht in ihrer Endphase gründlich daneben und bringt nur Spott und löst bestenfalls Schadenfreude aus. Dies zeigt auch folgende Begebenheit aus den zwanziger Jahren.
Es war das Jahr 1928. Noch beherrschten Kuhgespanne kleiner Landwirte und spielende Kinder das Straßenbild der Stadt Waldkappel. Wer zu diesem Zeitpunkt ein Motorrad besaß, zählte zu den fortschrittlichsten Bürgern. Bei „Kirmessen“ und sonstigen Tanzvergnügen wurden diese nach Benzin riechenden „Helden“ von den Mädchen eindeutig bevorzugt.
Verständlich, daß die Wißbegierde der jungen Burschen an diesen Teufelsdingern ständig wuchs und der Zuschauerkreis beim „Maschineputzen“ am Sonntagmorgen immer größer wurde. Kaum einer war dabei, der nicht den Wunsch hatte, solch ein knatterndes Ungeheuer zu besitzen oder wenigstens einmal zu fahren. Ebenso erging es unserem sonst so zurückhaltenden Fritz H. Fritz war soeben mit der Stallarbeit fertiggeworden und hatte seine klobigen Holzschlappen gegen die bequemeren Filzlatschen ausgetauscht. Mit freiem Oberkörper schlenderte er durch den Wachtgraben und langte nach wenigen Schritten bei seinem Schwager Emil an. Emil war wieder einmal dabei, jungen Burschen sachkundige Auskünfte über sein technisches Wunderwerk zu geben. Kaum hatte er Fritz erblickt, bot er diesem an, sich einmal auf den Sattel zu schwingen, und dabei die Qualität des Materials zu prüfen. Mit einer lässigen Bewegung brachte er auch noch den Motor zum Laufen; schließlich sollte Fritz ein vollkommenes Gefühl für die neue Technik erhalten.
Was lag bei soviel Geneigtheit des Schwagers für Fritz näher, als ihn zu bitten, ein Stück fahren zu dürfen. Nur einmal bis zur Bleichenbrücke, vielleicht noch ein Stück durch die Wehrgasse und dann durch den Grünen Weg zurück zur Kirchgasse. Der gute Mann schlug ihm die Bitte nicht ab; es wäre auch schade gewesen, denn dann wäre die Geschichte schon hier zu Ende, und Sie, verehrte Leser, könnten nicht gespannt auf den Ausgang der Spritztour sein.
Ab ging die Fahrt an Freunden und winkenden Mädchen vorüber. Sanft streichelte der Fahrwind die stolzgeschwellte Brust unseres jungen Mannes, der schon längst die vereinbarte Route verlassen hatte und schon bald die Kirchturmspitze Bischhausens sehen konnte. Die Freude am Fahren muß ihn um den Verstand gebracht haben, denn noch immer nicht dachte er daran umzukehren. Oetmannshausen hatte er bereits hinter sich gelassen und befand sich kurz vor Vierbach.
Der Höhenflug seiner Gefühle erlitt einen merklichen Knacks, als der Motor hin und wieder aussetzte und auch nicht mehr so recht auf seine Hebelbewegungen reagieren wollte. Noch einige hundert Meter tat die sonst so brave „Zündapp“ leidlich ihren Dienst, sann aber gab sie endlich ihren Geist auf. Kein Ton ließ sich ihr mehr entlocken.
Erst jetzt wurde unserem Fritz bewußt, daß er mehr als 12 Kilometer von zuhause weg war und keine Ahnung hatte, das Knatterding wieder flott zu machen. Hier half nach seiner Auffassung nur noch schieben, um sich ohne größeres Aufsehen aus der Affäre zu ziehen. Auf den ersten Kilometern gings noch leidlich voran. Die Sonne meinte es zwar recht gut, aber zum Schweißabwischen war keine Hand frei. Peinlicher wurde schon der Marsch durch Oetmannshausen; dort riefen gerade die Glocken zum Kirchgang und so manch schadenfroher Blick traf unseren keuchenden Schieber, dessen schweißnasse Haut in der Sonne glänzte. Aber noch konnte er nicht ahnen, daß ihm das Schlimmste noch bevorstand:
Kurz hinterm Dorf, dort wo die Straße von Hoheneiche einstmals einmündete und eine Baumgruppe Schatten versprach, war die erste größere Rast nötig. Kaum aber lag der erschöpfte Ausreißer im Grase, strich eine leichte Brise durch die Blätter. Eine große dunkle Wolke schob sich über den Horizont und war dabei, die Sonne zu verdunkeln. „Nur kein Regen“ gings Fritz durch den Sinn. Seine dürftige Kleidung war für einen Regenschauer nun wahrlich nicht geschaffen. Verständlich, daß er aufsprang und sich wieder auf den Heimweg machte.
Es kam schlimmer, als er es befürchtet hatte. Mit dicken Tropfen begann ein heftige Regen, der wolkenbruchartige Formen annahm. Diesen Wassermassen waren die schon recht alterschwachen Filzlatschen nicht gewachsen. Die Sohlen lösten sich und schon bald mußte unser Pechvogel barfuß durch Wasser und Schlamm waten.
Zu einer Zeit, zu der satte Bürger ein Mittagsschläfchen halten, kam Fritz, völlig erschöpft und hungrig und in Erwartung einer gepfefferten Standpauke in Waldkappel wieder an. Schwager Emil, der in Sorge um sein Heiligtum sich vorsorglich auf der Bleichenbrücke postiert hatte, „begrüßte“ ihn mit einem finsterem Blick und ließ sogleich ein gewaltiges Donnerwetter vom Stapel. Nur das erbarmungswürdige Aussehen „Schiebers“ hielt ihn davon ab, tätlich zu werden. Zum Bösesein hatte er auch kein Platz in seinem Herzen. Er war außerdem froh, sein geliebtes Maschinchen wieder heil vorzufinden.
Mit einem Blick erkannte er die Ursache des Versagens. Ohne recht hinzusehen, legte er den Hebel des Reservetanks nach links und brauste schon nach wenigen Augenblicken los. Der verdutzt dastehende Fritz brauchte eine Weile, um den Mund wieder zuzubekommen.
Für den Rest des Tages bekam niemand unseren Fritz zu sehen. Auch als angehender Experte in Motorradfragen hatte er eine ganze Weile an Glaubwürdigkeit verloren.
Verfaßt von Helmut Hartung, 34246 Vellmar-West 10/99