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Es kann schon recht lästig werden, immer wieder mit ungelenker Handschrift den Absender auf Postkarten und Briefen anbringen zu müssen. Wem käme da nicht den Wunsch nach einem Stempel in den Sinn, zumal ein Stempelabdruck zusätzlich einen Hauch von Seriosität und unternehmerische Größe vermittelt.

Genauso dachte auch unsere „Kolonialwarenhändlerin“, die vor vielen Jahren unweit Waldkappels in einem kleinen Dorfe lebte, eine Schar von Kindern großzuziehen hatte und geduldig ihre geschwätzigen Kunden mit dem Allernotwendigsten versorgte. Vor der täglichen Arbeit war ihr nicht bange. Sie arbeitete schön der Reihe nach und ließ keine Hektik aufkommen. Lästig war nur der „gewiddersche Schriebekram“. wie sie es so treffend auszudrücken wußte.

Des öfteren mußte den Lieferanten geschrieben werden, bei der nächsten „Tour“ etwas besonderes zur Befriedigung ausgefallener Kundenwünsche mitzubringen. So ist es verständlich, daß wochenlang von einem Stempel die Rede war, der die lästige Bestellerei erleichtern würde. Kosten sollte er natürlich nicht viel, denn große Gewinne warf das Lädchen, das in der ehemaligen „guten Stube“ etabliert worden war, nicht ab. Böse Zungen behaupteten sogar, das Geschäft würde nur deshalb betrieben, um der eigenen großen Familie den Einkauf zu Großhandelspreisen zu ermöglichen und den Kindern den Zugang zum „Schnuggewerk“ zu erleichtern. Auf die Rentabilität des Geschäfts angesprochen, lächelte unsere gute Frau verschmitzt und schwieg sich aus. Solange ihr Mann und ihre Söhne, die sie stets „minne Männer“ nannte, auswärts gut verdienten, brauche sie sich um den Bestand des Krämerlädchens nicht zu sorgen.

Nachdem auch der „Vadder“ zustimmend genickt hatte, konnte der so dringend benötigte Stempel bestellt werden. Hierfür hatte der Pfiffigste aus der Kinderschar den Text unter genauer Maßangabe zu Papier zu bringen. Die säuberlich geschriebene Postkarte mit der Bestellung ging noch am gleichen Tage ab nach „Eschewei“.

Schon nach einer Woche erschien der Postbote aus Waldkappel mit einem verdächtig großen Nachnahmepäckchen.

Beim Nennen der Nachnahmeforderung mußte sich unsere Gemichtwarenhändlerin erst einmal setzen. Es war gut, daß sie saß und gottseidank war der Stuhl auch solide genug für unsere etwas korpulente Handelsfrau. Denn eine noch viel größere Überraschung bahnte sich an: Statt eines handlichen Stempels, der gut in die Absenderecke eines Postkarte gepaßt hätte, präsentierte sich der fast vollzählig versammelten Familie ein Stempel gewaltigen Ausmaßes, ein wahres Monstrum. Die ganze Fläche einer Postkarte hätte nicht ausgereicht, einen Abdruck dieses Stempels unterzubringen.

Was war geschehen? Der so pfiffige Besteller konnte keine Auskunft geben. Längst hatte er das Weite gesucht. Nur ein Blick hatte ihm genügt, um zu erkennen, daß er das Malheur heraufbeschworen hatte. Bei der Bestellung hatte er, wie so oft, die Abkürzung für Millimeter mit der für Zentimeter verwechselt und sich mit diesem kleinen Mißgeschick diesmal eine gepfefferte Tracht Prügel eingehandelt hatte, die ihm noch am gleichen Abend vom „Vadder“ geliefert wurde.


Verfaßt von Helmut Hartung, 34246 Vellmar – West (1976)

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