Der Holzvergaser

Benzin, der Kraftstoff für unsere Autos, bekommt man heute überall, an jeder Tankstelle in jeder beliebigen Menge und in mehreren Qualitäten. Man ärgert sich nur über den ständig steigenden Preis und den unverschämt hohen Anteil, den der Fiskus für sich beansprucht. Doch das war nicht immer so.

Wer während des 2. Weltkrieges sein Privatauto vor der Requirierung durch den NS-Staat gerettet hatte, konnte es nach dem Kriege keineswegs gleich nutzen: Es fehlte der Kraftstoff, der immer noch streng rationiert und nur über Bezugscheine zu einem normalen Preise zu erhalten war. Nur wenige kamen in den Genuß dieser Vergünstigung. Selbst lebenswichtige Institutionen mußten nach Ersatzlösungen suchen. So mußte z.B. der Arzt Dr. Wepler aus Waldkappel bereits während des Krieges seinen Mercedes stillegen und die Hausbesuche zu seinen auswärtigen Patienten mit einem Pony-Gespann bewerkstelligen. Selbstverständlich hatte „Excellenz“ dafür einen Kutscher engagiert.

Holzvergaser
ADN-ZB/SNB Pkw mit Holzgasantrieb in Berlin 1946

Die „kleinen Leute“ waren zum Glück noch nicht auf einen eigenen fahrbaren Untersatz angewiesen. Arbeiter und Angestellte benutzten die Eisenbahn, um zu ihrem Arbeitsplatz z.B. in Kassel zu gelangen. Für die Fahrt nach Kassel benötigte das Botenlieschen, wie die Bimmelbahn liebevoll genannt wurde, allerdings satte zwei Stunden für die gut 40 Kilometer. Übrigens waren im Winter die Züge meist überheizt und fast alle Fahrgäste holten den versäumten Schlaf auf den harten Holzbänken nach und wachten frühestens in Bettenhausen wieder auf. Die Ziele in der näheren Umgebung bewältigte man mit dem Fahrrad, sofern man eines hatte, oder man ging zu Fuß. Nach dem Krieg hatte es noch keiner so eilig wie heute.

Die langsam wieder in Gang kommende Wirtschaft verlangte nach preiswerten Transportmitteln in ausreichender Zahl. Für einen Liter Benzin auf dem Schwarzmarkt waren horrende Preise zu zahlen, die oft dem Taglohn eines Handwerkers übertrafen. So konnte das nicht weitergehen. Die Lösung hieß HOLZ, ein Rohstoff der in den Wäldern in ausreichender Menge vorhanden war. Ein junger Mensch wird jetzt fragen: Wie das denn? Mit einer Dampfmaschine ? Nein ! Das Zauberwort hieß HOLZVERGASUNG; ein Verfahren, das bereits im Kriege von den Nazis zur Serienreife entwickelt worden war.

Die mit diesem System umzurüstenden Autos mußten einen Ottomotor besitzen, denn Dieselmotoren waren ungeeignet. Sie wurden mit einem voluminösen Generator zur Holzvergasung versehen, zu dem noch ein Filter, Wäscher und Trockner kamen. Der Generator, ein zylindrischer Stahlbehälter, ähnlich einem Jauchefaß, von ca. 60 cm Durchmesser und bis zu 2,5 m Höhe wurde in einem Ausschnitt in der Pritsche stehend hinter dem Führerhaus, meist auf der Beifahrerseite, angeordnet, der Wäscher und Trockner an der Spitze des Fahrzeugs vor bzw. unterhalb der Stoßstange. Die Spedition Dangl in Waldkappel besaß z.B. Lastkraftwagen der Marke OPEL, die mit Holzgas angetrieben und bei Bedarf sogar mit Holzbänken versehen, als Omnibus zum Besuch von Kinovorstellungen in Hessisch-Lichtenau eingesetzt wurden. Filmerlebnisse wie „Maske in Blau“, „Der Tiger von Eschnapur“ oder Das Indische Grabmal“ setzten deshalb eine Lastwagenfahrt auf harten Holzbänken voraus.

Bevor es losgehen konnte, mußte der Vergasungsvorgang im Generator aktiviert werden. Nachdem der Behälter mit ein paar Säcken trockenen, kleingehackten Klötzchen aus Laubholz aufgefüllt worden war, wurde ein elektrisch angetriebener Saugzugventilator in Betrieb genommen und die Holzfüllung über ein Schnüffelventil durch einen vorgehaltenen, brennenden Lappen angezündet und der Vergasungsvorgang in Betrieb gesetzt. Die erforderliche Qualität des Gases war erreicht, wenn es sich entzünden ließ und mit gelblich klarer Flamme kontinuierlich brannte. Chemisch gesehen war die Vergasung eine unter Luftmangel unvollständige „Verbrennung“ des Kohlenstoffes im Holz zu Kohlenmonoxid. Infolge des hohen Luftstickstoffgehaltes der im erzeugten Gas enthaltene Luft, war der Heizwert sehr gering und daher auch die Leistungsfähigkeit der Motoren. Die Lastkraftwagen waren z.B. nicht in der Lage, im beladenen Zustand die Anhöhe der Kapune zwischen Harmuthsachsen und Rodebach zu überwinden. Die Orte im Meißnervorland waren daher nur über Vierbach zu erreichen.

Obgleich Holz als Naturrohstoff die Grundlage des Gases war, war die Gaserzeugung keineswegs umweltfreundlich. Es war erforderlich, alle 20 – 30 km die bei der Vergasung reichlich entstandenen Nebenprodukte wie z.B. Holzessig, Holzteer und zum Teil auch giftige Bestandteile als stinkende Flüssigkeit abzulassen; natürlich auf die Straße, wo man gerade stand. Dabei hatte man damals noch keine Gewissensbisse wegen der Grundwasserverschmutzung usw.

Schon bald nach der Währungsreform in 1948 war der Spuk mit den Holzvergasern vorbei und man konnte die Fahrzeuge wieder mit flüssigem Treibstoff betanken.

Wer diese Geschichte nicht glauben will, der möge das Deutsche Museum in München besuchen; dort steht in der Fahrzeugabteilung ein Holzvergaser-Monster aus der damaligen Zeit zur Ansicht.


Verfaßt von Heinrich Hartung, Bad Schwartau 11/99

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