Vor einiger Zeit fiel mir ein altersschwaches graublaues Heftchen in die Hände. In diesem alten Büchlein ist anfangs des Jahrhunderts in schönstem Amtsdeutsch festgehalten worden, in welcher Weise die neue Wasserleitung der Stadt Waldkappel „benutzt“ werden darf und was für die Wasserentnahme in Mark und Pfennig zu „entrichten“ ist. Sogar Strafbestimmungen enthält das vom Magistratsrat Pitz unterschriebene „Ortsgesetz“. Dieses Heft regte mich dazu an, einmal Nachforschungen darüber anzustellen, wie es wohl vor dem Bau der Städtischen Wasserleitung (1908) mit der Trinkwasserversorgung ausgesehen haben mag..
Ein nicht leicht durchzuführendes Vorhaben, wenn man bedenkt, daß alle älteren Unterlagen über Quellen, Brunnen und Röhrenwasserleitungen durch den großen Brand von 1854 vernichtet worden waren. Wie in vielen Fällen zuvor, konnte auch hier das Hessische Staatsarchiv in Marburg/Lahn helfen. Ein dort aufbewahrtes Faszikel des Kurfürstlichen Landratsamtes in Eschwege, der den Zeitraum von 1821 – 1890 umfaßt, bot eine Fülle von Informationen. So manch gepfefferter Beschwerdebrief biederer Bürger über Mißstände an Brunnen und Bächen und so manche vom Landrat persönlich vom Bürgermeister geforderte Stellungnahme geben Auskunft über Nöte der sogenannten guten alten Zeit.
So verfügte die Stadt Waldkappel nach einem Bericht des Bürgermeisters Hitzeroth vom 28. 8. 1861 zu jener Zeit über 7 Pump- und 2 Windebrunnen. Darüber hinaus diente der Borbach, der ehedem noch „Bornbach“ hieß und der damals zwischen den Häusern Hindenburgstraße 21 und 23 einen großen Brunnentrog (Kumpf) füllte und dann in der Straßenrinne (Kandel) die „Hohe Gasse“ (später Hindenburgstraße) herabfloß, den Bürgern der Umgebung als Viehtränke und Waschwasserspender. Dieser Wasserlauf konnte mit wenigen Handgriffen in andere Gassen umgeleitet werden, was bei Anliegern oft zu überfluteten Kellern und Ställen führte, wenn diese Umleitung nachts eigenmächtig vorgenommen wurde.
Das Wasser dieses Baches kam aus der Burbach- und Taufsteinquelle. Über einen im 15.Jahrhundert künstlich angelegten Wasserinne leitete man ein Teil des Quellwassers oberirdisch am Südhang des Frauenberges in die obere Stadt, um in erster Linie ausreichend Löschwasser zur Brandbekämpfung zur Verfügung zu haben. Der Graben war etwa 2 Kilometer lang und hieß im Volksmund „Der lange Graben“. Ganz am Rande sei erwähnt, daß gerade das Wasser dieses Baches seiner Weichheit wegen bei den Waschfrauen und aufgrund seiner nachgesagten Heilwirkung bei Augenerkrankungen allseits geschätzt wurde. Erst durch die Errichtung der neuen Wasserleitung im Jahre 1908 ist die Zuleitung des Quellwassers aus dem Borbach überflüssig geworden; der Kumpf wurde abgebaut und die Wasserinne eingeebnet. Der Damm der im Jahre 1878 errichteten „Kanonenbahn“ war also nicht Ursache für die Beendigung der Zuleitung.
Mit Sicherheit ist das Wasser in einer Röhre durch den Bahndamm geleitet worden.
Desweiteren floß Quellwasser in Röhren vom Roßzaun in den „Kumpf“ auf dem Markt und zum „Stöckchen“ am Goldenen Adler. Natürlich besaßen einige Hausbesitzer auch eigene Brunnen auf ihren Höfen, um von der öffentlichen Wasserversorgung unabhängig zu sein. So soll im „Unterland“ auf dem Hof des Gutes sogar ein Springbrunnen geflossen sein. Wasserholen war eine tägliche Tätigkeit, die viel Zeit in Anspruch nahm. Denn es konnte den Brunnen nur zu bestimmten Zeiten Wasser entnommen und in die Eimer gefüllt werden. Wenn Andrang herrschte, verging oft eine längere Zeit ehe man seine Eimer füllen konnte. Mit einem Traggestell auf den Schultern trug man gleichzeitig zwei Eimer nachhause.
Mit meinen weiteren Ausführungen will ich mich auf zwei Brunnen beschränken, die vor dem Harmuthsächser Tor und in der Hohen Gasse lagen und nach dem Bau der städt. Wasserleitung geschlossen wurden. Noch nach Jahrzehnten deutet bei leichtem Schneefall eine auf dem Bürgersteig sich bildende kreisrunde feuchte Stelle auf den längst verschwundenen Brunnen vor dem harmuthsächser Tor hin.
Dieser Brunnen, der den Namen „Steinwegbrunnen“ führte, wurde auf Drängen der vor dem Tore nach dem Großen Brand von 1854 angesiedelten Bürger und auf Weisung des Kurfürstlichen Landratsamtes im Jahre 1856 errichtet. Die für den Fall eines Brandes nicht ausreichende Löschwasserversorgung im damaligen Neubaugebiet mag Hauptanlaß für die Errichtung gewesen sein, denn schließlich saß den Bürgern vom Großen Brande her noch die Angst im Nacken.
Maurermeister Balthasar Schiffler aus Oetmannshausen wurde mit der Durchführung der Erd- und Maurerarbeiten beauftragt. Die Ausschachtungsarbeiten gestalteten sich insoweit recht schwierig, weil man auf ein mächtiges Sandsteinlager stieß und man sich gezwungen sah, zwei Bergleute vom Meißner zu bitten, die Arbeiten zu Ende zu führen. Mit dem Pumpgehäuse wurde die kapitalschwache Stadtkasse nicht belastet – dieses stellte das Kurfürstliche Bergamt Veckerhagen kostenlos zur Verfügung. Das Herz des Brunnens, das schwere Messingventil, lieferte die Firma Hentschel, Kassel. Pumpenmacher Christian Schäfer besorgte die eigentliche Installation des Brunnens. Zuvor waren der Länge nach durchbohrte Fichtenstämme, die später das in die Tiefe führende Pumprohr abgaben, von der Stadt zur Verfügung gestellt worden.
Leider brachte der Brunnen im darauf folgenden Sommer nicht genügend Wasser, so daß man sich schweren Herzens entschloß, die Aufbauten wieder abzutragen und den Brunnenschacht um mehrere Meter zu vertiefen. Nunmehr gab er wohl reichlich Wasser her, aber zum Schrecken der Verantwortlichen wurde jetzt die Wasserqualität durch Sickerwasser, das durch das Mauerwerk drang, verschlechtert. Erneut mußte aufgegraben werden und das äußere Mauerwerk mit einer dicken Schicht aus Tonerde versehen werden. Endlich stand der Brunnen, nachdem er noch mit einem schweren Eichendeckel versehen und das Pumpgehäuse winterfest verkleidet worden war, den Bürgern zur Verfügung – um nach genau 50 Jahren wieder zugeschüttet zu werden.
Der zweite Brunnen, von dem hier berichtet werden soll, war ein besonders tiefer Windebrunnen, über dessen hölzerne Welle eine Kette den Schöpfeimer in die Tiefe herabließ. Dieser Brunnen, der sich in der Hohen Gasse (im Dialekt sprach man von der Honngasse) unter dem Wohnzimmerfenster eines Schuhmachers Heinrich Sundheim (jetzt Hindenburgstraße 24) befand, lieferte ausschließlich Wasser zum Tränken des Viehs. Nach einem Bericht des damaligen Bürgermeisters Vielmäder vom 26. März 1857 waren 47 Umdrehungen des Schwengels nötig, um einen Eimer Wasser aus der Tiefe zu fördern. Es bleibt der Phantasie des Lesers überlassen, sich einmal vorzustellen, was es für Knechte und Mägde im Winter an Arbeit bedeutete, ein Dutzend Pferde oder Kühe ausreichend mit Wasser zu versorgen. Wenn Pumpbrunnen längst eingefroren waren und auch das Wasser des Borbachs wegen Glatteisgefahr umgeleitet werden mußte, waren Windebrunnen als einzige Wasserquelle stets eisfrei.
Gerade dieser Brunnen gab zu vielem Ärger Anlaß. Immer wieder wurden die unmittelbaren Anlieger durch den Lärm des eisernen Getriebes und durch das Getöse des heruntersausenden Eimers in ihrer Nachtruhe erheblich gestört. Einmal berichtete sogar besagter Heinrich Sundheim an das Kurfürstliche Landratsamt in Eschwege, daß er den frühen Tod seiner Tochter auf die dauernde Lärmbelästigung zurückführe. Dem Wunsch des Beschwerdeführers und seiner unmittelbaren Nachbarschaft, den Windebrunnen in einen Pumpbrunnen umzuwandeln, widersetzte sich zunächst die Stadtverwaltung mit allen Mitteln. Später gab die Stadt klein bei und stimmte einem Umbau zu.
Erste Planungen einer zentralen Wasserleitung wurde auf Befehl der Königlichen Regierung im Jahre 1868 vorgenommen. Vorgesehen war zunächst, die benötigte Wassermenge mehrerer Quellen in den umliegenden Tälern zu entnehmen und das Wasser zu einem Sammelbehälter zu führen. Sorgfältig ausgearbeitete Kostenvoranschläge bezifferten die voraussichtlichen Ausgaben auf 1.257 Taler. Die Stadtverwaltung sah sich aber außerstande, diesen Betrag aufzubringen, da, wie der Bürgermeister zu berichten wußte, Waldkappel sehr arm sei und Steuergelder nur sehr spärlich in die Stadtkasse flössen. Auch an eine Umlage könne nicht gedacht werden, da es in den Familien oft an dem Nötigsten fehle und Zwangsvollstreckungen fast täglich vorkämen.
Auch der spätere Bau der Wasserleitung, der alle 9 Brunnenanlagen überflüssig machte, wurde nur durch die Aufnahme von Krediten bei der Landeskreditkasse möglich.
Verfaßt von Helmut Hartung, 34246 Vellmar-West 10/99