Benzin, der Kraftstoff für unsere Autos, bekommt man heute überall, an jeder Tankstelle in jeder beliebigen Menge und in mehreren Qualitäten. Man ärgert sich nur über den ständig steigenden Preis und den unverschämt hohen Anteil, den der Fiskus für sich beansprucht. Doch das war nicht immer so.
Wer während des 2. Weltkrieges sein Privatauto vor der Requirierung durch den NS-Staat gerettet hatte, konnte es nach dem Kriege keineswegs gleich nutzen: Es fehlte der Kraftstoff, der immer noch streng rationiert und nur über Bezugscheine zu einem normalen Preise zu erhalten war. Nur wenige kamen in den Genuß dieser Vergünstigung. Selbst lebenswichtige Institutionen mußten nach Ersatzlösungen suchen. So mußte z.B. der Arzt Dr. Wepler aus Waldkappel bereits während des Krieges seinen Mercedes stillegen und die Hausbesuche zu seinen auswärtigen Patienten mit einem Pony-Gespann bewerkstelligen. Selbstverständlich hatte „Excellenz“ dafür einen Kutscher engagiert.
Die „kleinen Leute“ waren zum Glück noch nicht auf einen eigenen fahrbaren Untersatz angewiesen. Arbeiter und Angestellte benutzten die Eisenbahn, um zu ihrem Arbeitsplatz z.B. in Kassel zu gelangen. Für die Fahrt nach Kassel benötigte das Botenlieschen, wie die Bimmelbahn liebevoll genannt wurde, allerdings satte zwei Stunden für die gut 40 Kilometer. Übrigens waren im Winter die Züge meist überheizt und fast alle Fahrgäste holten den versäumten Schlaf auf den harten Holzbänken nach und wachten frühestens in Bettenhausen wieder auf. Die Ziele in der näheren Umgebung bewältigte man mit dem Fahrrad, sofern man eines hatte, oder man ging zu Fuß. Nach dem Krieg hatte es noch keiner so eilig wie heute.
Die langsam wieder in Gang kommende Wirtschaft verlangte nach preiswerten Transportmitteln in ausreichender Zahl. Für einen Liter Benzin auf dem Schwarzmarkt waren horrende Preise zu zahlen, die oft dem Taglohn eines Handwerkers übertrafen. So konnte das nicht weitergehen. Die Lösung hieß HOLZ, ein Rohstoff der in den Wäldern in ausreichender Menge vorhanden war. Ein junger Mensch wird jetzt fragen: Wie das denn? Mit einer Dampfmaschine ? Nein ! Das Zauberwort hieß HOLZVERGASUNG; ein Verfahren, das bereits im Kriege von den Nazis zur Serienreife entwickelt worden war.
Die mit diesem System umzurüstenden Autos mußten einen Ottomotor besitzen, denn Dieselmotoren waren ungeeignet. Sie wurden mit einem voluminösen Generator zur Holzvergasung versehen, zu dem noch ein Filter, Wäscher und Trockner kamen. Der Generator, ein zylindrischer Stahlbehälter, ähnlich einem Jauchefaß, von ca. 60 cm Durchmesser und bis zu 2,5 m Höhe wurde in einem Ausschnitt in der Pritsche stehend hinter dem Führerhaus, meist auf der Beifahrerseite, angeordnet, der Wäscher und Trockner an der Spitze des Fahrzeugs vor bzw. unterhalb der Stoßstange. Die Spedition Dangl in Waldkappel besaß z.B. Lastkraftwagen der Marke OPEL, die mit Holzgas angetrieben und bei Bedarf sogar mit Holzbänken versehen, als Omnibus zum Besuch von Kinovorstellungen in Hessisch-Lichtenau eingesetzt wurden. Filmerlebnisse wie „Maske in Blau“, „Der Tiger von Eschnapur“ oder Das Indische Grabmal“ setzten deshalb eine Lastwagenfahrt auf harten Holzbänken voraus.
Bevor es losgehen konnte, mußte der Vergasungsvorgang im Generator aktiviert werden. Nachdem der Behälter mit ein paar Säcken trockenen, kleingehackten Klötzchen aus Laubholz aufgefüllt worden war, wurde ein elektrisch angetriebener Saugzugventilator in Betrieb genommen und die Holzfüllung über ein Schnüffelventil durch einen vorgehaltenen, brennenden Lappen angezündet und der Vergasungsvorgang in Betrieb gesetzt. Die erforderliche Qualität des Gases war erreicht, wenn es sich entzünden ließ und mit gelblich klarer Flamme kontinuierlich brannte. Chemisch gesehen war die Vergasung eine unter Luftmangel unvollständige „Verbrennung“ des Kohlenstoffes im Holz zu Kohlenmonoxid. Infolge des hohen Luftstickstoffgehaltes der im erzeugten Gas enthaltene Luft, war der Heizwert sehr gering und daher auch die Leistungsfähigkeit der Motoren. Die Lastkraftwagen waren z.B. nicht in der Lage, im beladenen Zustand die Anhöhe der Kapune zwischen Harmuthsachsen und Rodebach zu überwinden. Die Orte im Meißnervorland waren daher nur über Vierbach zu erreichen.
Obgleich Holz als Naturrohstoff die Grundlage des Gases war, war die Gaserzeugung keineswegs umweltfreundlich. Es war erforderlich, alle 20 – 30 km die bei der Vergasung reichlich entstandenen Nebenprodukte wie z.B. Holzessig, Holzteer und zum Teil auch giftige Bestandteile als stinkende Flüssigkeit abzulassen; natürlich auf die Straße, wo man gerade stand. Dabei hatte man damals noch keine Gewissensbisse wegen der Grundwasserverschmutzung usw.
Schon bald nach der Währungsreform in 1948 war der Spuk mit den Holzvergasern vorbei und man konnte die Fahrzeuge wieder mit flüssigem Treibstoff betanken.
Wer diese Geschichte nicht glauben will, der möge das Deutsche Museum in München besuchen; dort steht in der Fahrzeugabteilung ein Holzvergaser-Monster aus der damaligen Zeit zur Ansicht.
Verfaßt von Heinrich Hartung, Bad Schwartau 11/99
Nachtrag: Ein Büssing der Spedition Dangl
Im Jahr 2023 bekam ich die folgende Nachricht eines Lesers:
„Bei der Recherche zu einem bei mir im Archiv befindlichen Foto, bin ich auf Ihre Waldkappeler-Geschichten Seite gestoßen. Im Artikel zu den Holzvergasern werden ja auch die Opel Fahrzeuge der Spedition Georg Dangl erwähnt.
Nicht mit Holzvergaser sondern mit normalem 6-Zylinder, 120 PS leistendem Dieselmotor versehen war dieser Büssing 5500 S mit Pritschenaufbau und schwerem zwillingsbereiftem 2-achs Anhänger. Der Büssing trägt noch das damalige Besatzungskennzeichen AH24-5256 für Eschwege in der amerikanischen Zone Hessen.
Entstanden ist die Aufnahme in den frühen 50er Jahren am Bodensee. Mehr weiß ich leider nicht zu berichten.
Vielleicht ist das Motiv aber dennoch schön für ihr Archiv oder sogar für ihre Homepage und eventuell kennt sogar noch jemand den Fahrer. Es wäre interessant etwas mehr über die Spedition Dangl zu erfahren. Auf der Seite northdata.de ist z.B. vermerkt, dass die Spedition 1948 gegründet und 1977 gelöscht wurde. Sind das korrekte Angaben?
[.. Zudem] existiert bereits ein Speditionsporträt der Fa. Dangl. Veröffentlicht in der kurzlebigen Zeitschrift „Powalskis Fahrtenschreiber“, Ausgabe 01/2013. [..] Das Porträt ist durch Erzählungen ehemaliger Fahrer und Werkstattmitarbeiter entstanden und initiiert haben das Ganze die beiden Waldkappeler Reinhold Graf und Petra Funk. Das nur noch zu Ergänzung.“
Vielen lieben Dank für den wertvollen Beitrag!
Prima Tipp.
Vielen Dank für die Rückmeldung! Ich freue mich, dass es Ihnen gefallen hat.