Die Dreschmaschine

Die Dreschmaschine, ein Monstrum in der Größe eines Einfamilienhauses, mit vielen sichtbaren Riemenscheiben, Zahnrädern, Ketten und gewachsten Geweberiemen, stand auf vier eisernen Rädern und war damit beweglich, aber ohne eigenen Motor. Das bedeutet, daß dieses furchterregende Gerät mit einem vorgespannten Traktor transportiert werden mußte.

Die Dreschmaschine in Waldkappel in den frühen fünfziger Jahren gehörte Herrn Volland aus Herlefeld, einem Dörfchen in der Nähe von Spangenberg. Standort der Maschine während der Erntezeit war ein großer Schuppen auf der Gänsewiese.

Die kleinen Bauern, meist diejenigen mit 2 bis 3 Kühen, ließen ihre Frucht, so wurde das Getreide genannt, vom Erntewagen aus hier dreschen. Nach einer Schönwetter-Periode war der Andrang groß. Es kam schon vor, daß bis zu 20 Wagen auf den Service warteten.

Eine Dreschmaschine der Petermann-Werke

Zur Bedienung der Maschine waren für das Gabeln, Einlegen, Abnehmen und Aufladen des ausgedroschenen Strohs immerhin 6 Personen erforderlich. Das bedeutet, daß manchmal 50 Menschen herumstanden und warteten und meistens kluge Reden führten.

Nun wurde die Maschine nicht vom Eigentümer, Herrn Volland, bedient, sondern vom Maschinisten, Herrn Roland M., einem Spezialisten, der nicht nur für das Ölen und Abschmieren der unendlich vielen versteckten Lager und Antriebe verantwortlich war, sondern auch für die Buchführung, damit der Dreschlohn ermittelt werden konnte.

Lanz-Bulldog

Es gab jedoch auch während des Dreschvorganges Ruhepausen. Dann zog sich Roland mit einem Fläschen Bier in den Elektrischen Motorwagen für den Maschinenantrieb zurück und machte ein Nickerchen, und zwar abgestützt auf dem Elektromotor. Hier war es gleichmäßig warm, und er konnte am Klang des Motors erkennen, ob alles „rund“ lief.

Interessant für uns Kinder wurde es jedoch erst im Frühherbst, wenn die unförmige Dreschmaschine zu den größeren Bauern in deren eigene Scheune gebracht werden mußte. Eine schwierige Arbeit, die viel Sachverstand und Kraft erforderte. Dazu mußte ein Monstrum in Bewegung gesetzt werden: Der LANZ-Bulldog, der Bullenhund, so die Übersetzung aus dem Englischen.

Der LANZ-Bulldog war eine genial einfache Konstruktion aus zwei Werkstoffen, nämlich Eisen und Vollgummi, lediglich das Lenkrad war umfänglich mit Holz „griffig“ gemacht. Der Motor war – als liegender Einzylinder ausgebildet – mit fast 10 Litern Hubraum und sage und schreibe 15 PS Spitzenleistung bei maximal 500 Umdrehungen pro Minute. Wenn es losgehen sollte, wurde der Zündschlüssel eingesteckt und nach rechts gedreht – so macht man es heute.

HL Bulldogs wurden ab 1921 gebaut, hatten einen liegenden 1-Zylinder Glühkopfmotor.
Da ein Schaltgetriebe in den ersten Jahren fehlte, mußte zum Rückwärtsfahren die Drehrichtung umgesteuert werden.Die Firma Heinrich Lanz wurde 1957 von der Firma John Deere übernommen. Die Produktion von Bulldogs wurde 1962 eingestellt.

Der „Bullenhund“ hatte solch einen Schnickschnack jedoch nicht, er mußte vorgeheizt werden, das heißt, daß der sogenannte Glühkopf an der Spitze des Zylinders mit einer Lötlampe mindestens 15 Minuten aufgeheizt werden mußte, bis er eine dunkel- bis hellrote Farbe zeigte. Dann wurde das Lenkrad mit der 50 cm langen Spindel schnell aus der Verankerung vor dem Fahrersitz genommen, in die Nabe des Kurbelwelle-Schwungrades gesteckt und mit einem nicht zu beschreibenden Griff in Drehung versetzt und damit die Kolbenbewegung eingeleitet. Noch eine kurze Hin- und Herbewegung des Einspritz-Pumpen-Hebels mit der nun freiwerdenden Hand erzeugte dann den ersten satten Blubberton … er lief. Ich denke, daß diese Start-Perfektion nur ein Robert Müldner beherrschte.

Ein weiteres Organ dieses Monstrums war das Getriebe. Es konnte nur beidhändig im Stillstand geschaltet werden. Ein Rückwärtsgang war zwar vorhanden, er wurde jedoch nicht genutzt, wozu auch, man ließ den Motor einfach rückwärts laufen. Das Umsteuern war für einen Könner kein Problem, die Kurbelwelle im unteren Totpunkt zu „erwischen“ und dann wieder Gas zu geben.

Wenn es dann mit der schweren Dreschmaschine im Schlepp losging und eine kleine Steigung auf einem unbefestigten Weg gemeistert werden mußte, waren die profillosen, vollgummibereiften Zwillingsräder des Traktors am Ende, aber nicht bei unserem LANZ. Roland sprang dann vom Sitz, schnappte sich einen eisernen Haken, wie ein Feuerhaken sah er aus, kletterte wie ein Artist auf die Antriebsräder und zog radial sogenannte Krampen aus den Zwischenräumen der Vollgummi-Bereifung heraus, die mit Federn dann quer zur Lauffläche angepreßt wurden. Dieses geschah nach jeweils kurzer Weiterfahrt rund um die Räder herum. Am Ende wurden ca. 8 Krampen je Rad gesetzt. Mit diesem genialen Hilfsmittel hätte unser „Bullenhund“ sogar die Dreschmaschine auf das Matterhorn gezerrt.

Es war eine interessante Zeit für uns Jungen.


Verfaßt von Heinrich Hartung, Bad Schwartau 10/99

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert