„Meh honn de Fesdworre“ Dieser Ausspruch vom Senior der Familie wirkte auf alle Mitglieder – auch auf uns Kinder – elektrisierend. Festwoche wurde grundsätzlich jede Woche vor den großen kirchlichen Feiertagen, aber auch vor den Ereignissen, wie Heimat- und Waldfest oder Kirmes, genannt. Sie bedeutete für alle besondere Aktivität an den Tag zu legen, pünktlich aus den Federn zu steigen und zumindest so zu tun, daß man den Eindruck hatte, ausschließlich nur die Festwoche im Kopf zu haben. Der alte Herr konnte ganz schön grantig werden, wenn nicht alles so lief, wie es ihm vorschwebte.
Diese besagte Woche war am gefürchtetsten vor dem Osterfest, denn es fehlte der Freitag als Arbeitstag, Karfreitag war der höchste Feiertag für uns evangelische Christen.
Der darauf folgende Sonnabend war dann das reinste Chaos, galt es doch, neben der Herstellung der üblichen Erzeugnisse in der Backstube – die Gesellen begannen trotz des damals noch um diese Uhrzeit bestehenden Nachtbackverbots – bereits um 2 Uhr mit der Arbeit. Brot und Brötchen mußten fertig sein, wenn gegen 10 Uhr die ersten großen Blechkuchen von den Kunden gebracht wurden. Diese hatten sie in der Küche ihrer Hauses vorbereitet und mußten nun vom Bäcker gebacken werden. Es wurde nicht, wie heute üblich, ein kleines Mürbeteig-Törtchen im eigenen Elektroherd gebacken, sondern Blechkuchen vom Ausmaß eines Scheunentores produziert. Diese Erzeugnisse aus Hefeteig mit Puddingunterlage, Schmand- und Obstauflage unterlagen einem besonderen „timing“, denn, wenn sie „lose“ waren, mußten sie in den Backofen, sonst wären sie unansehnlich oder schwer verdaulich geworden. Dieses Problem war bei einem Andrang von 30 – 40 Heimbäckern, schier unlösbar, denn der Ofen mußte auch noch die richtige Backtemperatur haben und das zwischendurch erforderliche Aufheizen dauerte auch noch 20 Minuten, zumal während dieser Phase kein Kuchen im Ofen sein konnte.
Ein weiteres Problem, das bei den Gesellen am Ofen ständig Fluchen auslöste, war das konstruktiv gewollte Gefälle im Backofen zur Öffnung hin. Die, wie vorstehend geschildert, voll beladenen, nassen Blechkuchen mußten mit Keilen aus Eisen „unterfüttert“ werden, damit die ganze Ladwerje nicht herunterlief und auf den heißen Scharmotte-Steinen des Ofens verbrannte und gewaltig stank. Die Krönung des Backvorganges war die zusätzliche Verfeinerung des fast fertigen Kuchens mit zu Schaum geschlagenen Obstsaftes, auf die keiner verzichten wollte.
Das schwere Blech, das meist recht instabil war, wurde aus dem Ofen gezerrt und mit einer 2 cm dicken Schicht dieses Gemenges bestrichen, um dann nochmals für 10 Minuten in den Ofen geschoben zu werden.
Es war für die Gesellen ein außerordentlich anstrengender Tag, der nach fast 12-stündigem Non-stop-Geracker gegen 14 Uhr zuende ging. Der Backlohn betrug 30 Pfennige für den „Dicken Kuchen“ und für die unbeschreiblich schweren „nassen Scheunentore“ maximal 40 Pfennige pro Blech.
Richtig ärgerlich wurde es erst dann, wenn ein Kunde irrtümlich einen falschen Kuchen mit nachhause genommen hatte. Der Geschädigte rebellierte und verlangte ganz energisch seinen Kuchen vom Bäcker zurück. Meist wurde der Übeltäter nach umfangreichen Nachforschungen durch die Bäckersfrau auch entdeckt. Fast unlöslich wurde das „Versehen“, wenn der Kuchen schon zur Hälfte gegessen und keiner zu einem Kompromiß bereit war.
Verfaßt von Heinrich Hartung, Hamburger Straße 23, Bad Schwartau 10/99